Gedanken zum Film Negativ

Color Grading, Color Science -

Gedanken zum Film Negativ

Respect The Film Negative

Als ehemaliger Analog Filmer lernte ich "das Negativ zu schätzen". Die Entwicklung von analogen Stocks habe ich immer bewundert und tue dies noch heute. Es ist bemerkenswert, welche Ergebnisse bei der Entwicklung erzielt werden können. Oft gab es gravierende Unterschiede in den Ergebnissen bei den selben Stocks, wenn diese bei verschiedenen Dienstleistern entwickelt wurden. Die Gründe dafür sind vielfältig, oft wurde einfach an der Chemie gespart und es kamen "sehr dünne" Ergebnisse heraus. Dies spiegelt sich besonders in den Farben und dem Farbstufenansatz wieder. Dennoch konnte man nach einem guten Scan und einer ordentlichen Gradierung immer sehr gute Ergebnisse erzielen und die Farben "kamen wieder", je nachdem, wieviel Arbeit man investierte. Eines hatten aber alle Ergebnisse gemeinsam: natürliche Farbabstufungen.

Als Colorist bemerke ich heutzutage immer mehr, dass der eigentliche analoge Look immer mehr "verloren" geht bzw. missverstanden wird. Meiner Meinung nach geht es beim Entwickeln eines digitalen Filmlooks vorrangig um Textur als um künstliche Farb-Filmlooks, welche vor allem durch das "Verzerren" von Farben motiviert sind. Warum ist das so?

Bei Bildern, welche durch eine durchdachte und präzise Farbkorrektur verbessert wurden, kann man fast immer eine besondere Schönheit erkennen. Selten werden hier Farben bzw. Farbabstufungen so verändert, wie es zahlreiche sogenannte "Print Film Emulation LUTs" (kurz PFE, auch FPE genannt) tun. Da ich noch immer sehr viel analog fotografiere (Bewegtbild lohnt sich kaum noch) und dabei auch Aufnahmen mit Original Film Stocks mache, vergleiche ich oft die Scans mit solchen "künstlichen" digitalen Filmlooks. Oft liegen Welten zwischen den Ergebnissen. Selbst das Experimentieren beim Entwicklungs- und Scan-Prozess der Stocks liefert durchweg gute bis sehr gute Ergebnisse.

Kodak Vision3 500T Scan


Meiner Meinung nach ist es vor allem die Farbkorrektur und der Kontrast welche eine digitale Aufnahme farblich nah an das Ergebnis eines analogen Bildes bringen, weniger die Farbveränderungen. Natürlich müssen auch Anpassungen in den Farbabstufungen vorgenommen werden. Jedoch sind dort keineswegs so gravierende Änderungen nötig, wie es häufig leider praktiziert und propagiert wird, wenn, dann eher kleine, sanfte und durchdachte Änderungen. Oft wirken dann vor allem die Farben "unecht" bzw. unnatürlich.

Dies liegt aus meiner Einschätzung vor allem daran, dass das "Negativ" zu wenig Beachtung findet. Auch lese und höre ich immer wieder Sätze wie "die Negativ-Emulation" hat nur wenig bis kaum Einfluss auf einen digitalen Filmlook bei der Rekonstruktion eines analogen Looks". Dies stimmt aus meiner Perspektive einfach nicht. Bei vielen vor allem jüngeren Coloristen führt dies zu der Annahme, dass es einfach nur eine Film Print Emulation LUT braucht, um einen "analogen Filmlook" zu erreichen. Was jedoch völlig vergessen wird ist das Negativ. In der digitalen Aufnahme reden wir Coloristen ebenfalls vom Negativ, in diesem Fall die RAW-Aufnahme. So kommt es, dass viele Leute unbewusst (oder bewusst) gegen das Negativ arbeiten und es "zerstören".

Kodak Vision3 500T 35mm Scan

In den letzten Jahren hat die "Jagd nach dem analogen Filmlook" extreme Auswüchse angenommen, befeuert durch zahlreiche Tools und vor allem LUTs, welche auch oft in Tools "versteckt" werden. Nicht selten wird dabei das Negativ fast unbeachtet gelassen, ja selbst ausgewogene Farbkorrekturen werden oft vernachlässigt oder schlicht übergangen. PFE LUTs versprechen eine bestimmte künstliche Ästhetik sehr leicht zu erreichen. Dies kann gelingen, aber zu viele solcher vor allem schlecht erstellter LUTs liefern leider nur wenig brauchbare Ergebnisse, zumindest aus meiner Sicht.

Der bislang ungebrochene Trend die besondere Ästhetik eines analogen Bildes nachzuempfingen brachte bemerkenswerte Ergebnisse hervor, welche zu diesen momentan noch sehr populären Looks führten, die jedoch immer seltener etwas mit einem analogen Bild gemein haben. Es wird zu oft übersehen, dass es bei einem analogen Bild vor allem um Texturen geht, weniger um die Farben. Solche Looks bleiben oft hinter der Schönheit und den Nuancen zurück, die man durch Grading mit Respekt für das Filmmaterial erreichen kann.

Man sollte sich meiner Meinung nach vor allem auf Texturelemente wie Dichte, Schärfe, Körnung usw. konzentrieren, welche auch zum Ausgangsmaterial passen. Denn nur dann kann man Gradings erstellen, die die Geschichte, die Regisseur und Kameramann erzählen, wirklich verbessern. Wenn man früher Negative gescannt und gradiert hat, wurde vor allem auf perfekte Hauttöne geachtet. Alles andere "fiel dann fast automatisch dorthin, wo es hin gehörte".

Vor allem Kodak investierte sehr viel Mühe und Zeit in die Weiterentwicklung seiner Stocks, um die Ausrichtung der Silberhalogenidkristalle stetig zu verbessern und eine harmonische Wirkung in Größe und Verteilung der Körnung zu erreichen.

Heute beobachte ich aber immer mehr, dass "neue Coloristen" Film-LUTs, Kontrast, Textur und Körnung wahllos mischen, um einen solchen analog anmutenden "Filmlook" zu erreichen. Vielleicht bin ich an dieser Stelle zu konventionell, aber ich denke, man sollte vor allem bei diesen Prozessen das Negativ respektieren und nicht dagegen arbeiten, um es im schlimmsten Fall sogar zu zerstören. Denn was manche neue Coloristen oft nicht verstehen, ist das Filmmaterial selbst und welche Behandlung es braucht.

Diese modernen "Filmlooks" sind heutzutage leider sehr weit von der Schönheit eines Filmnegativs entfernt. Warum verlassen wir uns nicht lieber auf Kamerahersteller wie Arri, die ja bekanntlich vom analogen Film kommen? Und auf Color Science? Arri beschäftigt sich beispielsweise sehr intensiv mit der natürlichen Darstellung von Farben und investiert hier sehr viel Geld und Mühe. Die von Arri erzielten natürlichen Farben und Hauttöne sind seid Jahren der Gold Standard, und dies zu Recht.

Die neue Arri Super 35 hat die natürlichste Darstellung von Farben und Hauttönen, die ich bisher gesehen habe. Ich hoffe und wünsche mir, dass so ein Bild, vorausgesett dass es gut erstellt wurde, nicht wieder durch einschränkende LUTs beeinträchtigt und im schlimmsten Fall sogar zerstört wird. Ich wünsche mir, dass dem digitalen Negativ wieder Respekt gezollt wird. Man sollte sich endlich wieder um Inhalte und die Unterstützung dieser durch ein gutes Color Grading bemühen, als um das "wilde Erstellen" von Filmlooks. Die Bildqualität, welche wir von einem RAW erhalten können, sollte man nicht leichtsinnig missachten. Und wenn man schon LUTs einsetzen möchte, dann sollte man sich aus meiner Sicht mehr mit Negativ-Emulationen beschäftigen, welche zu dem Negativ-Material passen und dafür bestimmt sind.

Wer lernt das Negativ "zu verstehen" wird unweigerlich zu besseren Ergebnissen gelangen.


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